Der Sommer gönnt sich auch an diesem Tag keine Verschnaufpause. Und wir uns auch nicht. Solange die Sonne scheint,
wollen wir voran kommen. Wer weiß, wann das Wetter kippt und uns einen Ruhetag aufzwingt. Für den morgigen Tag
waren zumindest laut einem Wetterbericht im Radio die ersten Gewitter angesagt. Nachdem wir die Rechnung von
gerade mal fünf Euro für unseren Campingaufenthalt und ein paar Cent fürs Duschen beglichen und uns beim
Campingplatz-Oberinspektor mit Händeschütteln verabschiedet haben, schieben wir unser auf den Bootswagen aufgebocktes
Boot wieder an den Steg zurück, lassen es zu Wasser und beladen es mit unserem Kram.
Wir orientieren uns an unserem Gewässerführer und halten uns beim Weiterpaddeln links, wo wir laut Beschreibung an die Bootsschleppe
kommen sollen. Statt dessen treffen wir auf die vollautomatische Schleuse, die sich eigentlich am Ende des rechts
abknickenden Spreearmes befinden soll. Da wir keine Lust haben, wieder zurückzupaddeln, warten wir die halbe Stunde,
bis sich das Schleusentor endlich öffnet. Gemeinsam mit einem etwas größeren Motorboot gelangen wir in den nächsten
Spreeabschnitt. Hier ist der Fluss wieder schmaler und wirkt naturbelassener als auf dem breiten Abschnitt gestern
hinter dem Glower See. Wir durchpaddeln einen kleineren See, verzichten auf eine ursprünglich ins Auge gefasste
Pause an dem Gasthaus in Radinckendorf und fläzen uns schließlich, als der erste Hunger kommt, auf eine Wiese. Leider
steht das Gras sehr hoch, so dass mir zum ersten Mal seit unserer Ãœbernachtung in Petkamsberg der Heuschnupfen wieder
etwas zu schaffen macht. Aus diesem Grund verzichten wir auf ein Nickerchen. Kordula holt es kurze Zeit später einfach
auf dem Boot nach. Als wir dÃe
Abzweigung in die Drahendorfer Spree
erreichen, ist jedoch wieder ihr Einsatz gefragt.
Es muss geschleust werden, und Schleusen gehören inzwischen zu Kordulas liebstem Spielzeug. Die Kurbelei an dem
nicht mehr ganz zeitgemäßen Modell erfordert Kraft, stellt aber für Kordula kein Hindernis dar.
Bald darauf paddeln wir die vielgewundene Drahendorfer Spree entlang, immer auf der Jagd nach Schatten spendenden
Bäumen entlang der Uferlinie. Als wir
Neubrück
erreichen, haben wir 18 km absolviert und unser Tagesziel erreicht,
obgleich wir noch Zeit hätten bis zum Oder-Spree-Kanal zu paddeln, wo es eine Zeltgelegenheit an einem Forsthaus
geben soll. Doch das klingt uns ein bisschen zu sehr nach verlassener Einöde und so ziehen wir das bescheidene
Niveau an Zivilisation in Neubrück, wo es immerhin eine kleine Gaststätte gibt, vor — zumal wir von einem älteren
Pärchen, das an dem dortigen Wasserwander-Rastplatz gerade entlangspaziert, außerordentlich
freundlich begrüßt und empfangen werden. Nachdem wir ein wenig Zeit verbummelt haben, ein bisschen in der hier etwas
kräftiger strömenden Spree geschwommen sind und unser Zelt aufgestellt haben, bekommen wir abermals Besuch. Diesmal
sind es zwei Radfahrer, die hier eine kleine Badepause einlegen. Ein junggebliebener Mittfünfziger mit Vollbart und
wallendem Haar schwärmt uns in höchstem Ton vom Spreeforsthaus am Oder-Spree-Kanal vor — wie sich herausstellt, kennt er die
Besitzer -, das wir als Tagesetappenziel wenige Stunden zuvor verworfen haben. Nicht nur
gutes Essen, auch Zimmer und Duschen soll es dort geben, und Geschichte hat das Häuschen auch aufzuweisen.
RAF-Terroristen wie Henning Beer und Christian Klar haben hier in den Siebziger Jahren unter Stasi-Anleitung das
Panzerfaust-Schießen gelernt. Später wurden dort die Aussteiger aus der RAF auf ihr neues Leben als Bürgerinnen und
Bürger der DDR vorbereitet. Hört sich alles sehr interessant an, doch nun ist der Tag zu weit fortgeschritten, als dass
wir die 10 km doch noch auf uns nehmen. So bleiben wir nach einer kurzen Phase der Verunsicherung schließlich in Neubrück.
In der an der Brücke gelegenen Gaststätte bekommen wir sogar noch etwas zu essen: Kesselgulasch und Soljanka.
Kordula nimmt zum Nachtisch ein großes Eis, das sie sich an einem der Vorabende verdient hat, in dem sie in einer
Kniffelrunde über 300 Punkte schaffte. Leider rechnet uns der Wirt hinterher ein Bier zu viel ab, was wir aber
erst später merken. Richtig ärgern kann man sich aber darüber angesichts der niedrigen Preise in diesem Landstrich
eigentlich nicht. Da trifft mich die Niederlage Portugals gegen Frankreich im zweiten WM-Halbfinale, das ich
spätabends vorm Zelt liegend im Radio verfolge, schon mehr.