Auf 7.20 Uhr haben wir an diesem Morgen unseren Reisewecker gestellt, doch wach werden wir schon vorher.
Nach einer gemeinsamen Dusche und einem Frühstück mit Brötchen aus dem Laden bei der Camping-Rezeption,
das wir auf der Bank einnehmen, die wir uns tags zuvor gesichert und vor unser Zelt gestellt haben, geht es
ans Packen. Zum ersten Mal wird der nagelneue blaue Packsack gefüllt, den ich von Kordula extra für diesen
Urlaub zum Geburtstag geschenkt bekommen habe, dessen Wasserdichtigkeit an diesem Tag jedoch noch nicht
auf die Probe gestellt werden soll.
Kurz nach 9.30 Uhr erreichen wir mit unserem Gepäck das Arvika Kanot- & Turistcenter. Das Wetter ist
sonnig und vielversprechend. Bei den Hütten auf dem Gelände geht es zu wie in einem Taubenschlag. Überall
wuseln Leute umher, die ihre Ausrüstung in Tonnen oder Säcken verstauen. Etwas orientierungslos stehen
wir herum, bis uns einer der Angestellten aufgreift und uns kurz noch einmal auf Englisch erzählt, womit
wir gestern schon einmal erschlagen wurden. Danach geht plötzlich alles sehr schnell. Ein anderer
Angestellter des centers erzählt uns, dass der Bus für die Köla Älv-Tour abfahrbereit am Parkplatz
oberhalb des Centers stehen würde. Eilig tragen wir unser Gepäck nach oben und erklimmen die beiden
letzten Plätze in dem kleinen Bus, vorne neben dem Fahrer. Und schon geht es los.
Auf der über
einstündigen Fahrt über die Grenze nach Norwegen erzählt uns der Fahrer von Wölfen, Bären und den
seltenen weißen Elchen, die hier in der Gegend hausen, die man aber nur mit sehr viel Glück zu Gesicht
bekommt. Ansonsten lässt er zwischendurch sein Unverständnis darüber durchblicken, dass es Leute gibt, die in den
langweiligen schwedischen Wäldern mit ihren stillen Seen Kanutouren unternehmen, wo es doch nebenan in
Norwegen mit seinen Wildbächen im Kajak erst richtig zur Sache geht.
Kaum sind wir an unserem Ziel an dem
See Skjervangen
angekommen und haben unser Gepäck aus
dem Bus geholt, braust der Fahrer schon wieder davon, um weitere Taxifahrten unternehmen zu können.
Zurück bleiben eine vierköpfige niederländische Familie, ein niederländisches Pärchen und wir. Kurz
darauf bekommen wir Verstärkung. Ein zweiter Bus spuckt eine vierköpfige sächsische Familie und zwei
weitere Pärchen — eines davon bereits etwas betagter — aus und hat zudem acht Aluminium-Kanadier
samt Ausrüstung auf einem Anhänger in petto. Nachdem wir die Dinger abgeladen haben, erzählt uns der
Fahrer des Busses auf Engllisch, was man beim Paddeln alles verkehrt machen kann — schwerpunktmäßig
beim Sichern der Ausrüstung und beim Kentern. Dann — mittlerweile ist es bereits 12.00 Uhr —
geht es los. Wir quittiern das empfangene Material und packen unsere Sachen in das silbrig glänzende
Kanu mit dem schlichten Namen C2 auf dem Rumpf, das wir im Laufe des Tages auf den Namen Ronja umtaufen.
Wir starten als viertes, nach den Ossis, den beiden Älteren und dem niederländischen Pärchen. Kordula
verdingt sich hinten als Steuerfrau, während ich vorne sitzend versuche, Ronja auf Touren zu bringen.
Nach ein paar anfänglichen Zick-Zack-Abschnitten und einem ungewollten Dreher um die eigene Achse
haben wir ziemlich schnell den Bogen raus und gleiten zielstrebig über die sonnenüberflutete
Wasserfläche. Bald passieren wir die Ossis, die sich schon direkt zu Anfang ein nettes Plätzchen für
eine Pause gesichert haben, und paddeln den holländischen Booten in Richtung Südende des Sees hinterher
— solange, bis sie uns plötzlich wieder entgegenkommen. Anstelle des südlichen Ausflusses des Sees
sind wir in eine Bucht hineingesteuert, weil wir uns nicht weit genug links gehalten haben. Also
Kehrtwende und neuer Versuch. Mein seit dem Beginn der Tour überschäumendes Hochgefühl erhält den ersten
Dämpfer, als irgendein Insekt auf mich zugeschossen kommt und mir einen recht schmerzhaften Stich am
Hals verpasst.
Etwa eineinhalb Stunden nach unserem Aufbruch kommt die erste
Ausbootstelle
in Sicht. Bevor wir sie erreichen,
bringen wir jedoch das Kunststück fertig, auf einem Stein, der uns direkt unterhalb der Wasseroberfläche
auflauert, aufzusetzen — augenscheinlich dem einzigen dieser Art weit und breit. Mit einiger Mühe
arbeiten wir uns wieder frei. Der anschließende Landtransport von 600 Metern erweist sich als anstrengender
als erwartet. Die vor uns gelandeten Holländer helfen uns beim Herausziehen des Kanus und beim Hieven auf den
Kanuwagen. Danach geht es einen holperigen, engen, von strüppigem Geäst flankierten Waldpfad entlang, ehe
wir eine etwas angenehmer zu bewältigende Schotterstraße erreichen. Nach einigen hundert
Metern führt ein Weg durch knöcheltiefen Schlamm zur
Einbootstelle des Tannsjön
hinunter. Die Holländer
sind bereits wieder startklar, und hinter uns tauchen bereits die vier Sachsen auf, als wir Ronja in einer
schilfumsäumten Bucht wieder zu Wasser lassen.
Danach paddeln wir nicht mehr weit. Das gefährliche Knurren in Kordulas Magen nötigt uns zu einer Mittagspause
auf einer sehr
idyllisch gelegenen Halbinsel.
Gestärkt mit einem mexikanischen Reistopf aus der Tüte, den Kordula mit frischen Zwiebeln und Tomaten verfeinert,
und mit etwas Marzipan-Kirsch-Kuchen stechen wir kurz vor 17.00 Uhr noch einmal in See, passieren die unweit
von unserem Mittagsrastplatz gelegenen Lagerplätze der Ossis und der schwedischen Familie, die kurz zuvor
an unserem Mittagsrastplatz vorbeigekommen ist, und haben dann einige Probleme, auf dem sich weitenden
weitenden Tannsjön nicht die Orientierung zu verlieren. Schließlich finden wir uns aber doch zurecht.
Wir passieren die mitten durch den See verlaufende norwegisch-schwedische Grenze, ohne es wirklich
mitzubekommen — hier fragt niemand nach einem Reisepass — und
entdecken sogar die Bucht am Ostufer des Sees, wo wir wieder ausbooten müssen. Dies verschieben wir jedoch auf
den nächsten Morgen und begeben uns auf Nachtquartiersuche. Die erste sich anbietende Stelle wird uns jedoch durch
den feuchten Untergrund und die Anwesenheit einer Schlange madig gemacht. Bei dem Termitenhaufen an der
zweiten Stelle,
an der wir anlanden, geben wir uns dann etwas toleranter. Sie ist auch einfach zu schön, um sie einfach
so den Ameisen zu überlassen. Wir betten unser Kanu an einem Mini-Sandstrand und tun uns etwas schwer einen Platz
für unser Zelt zu finden, der einerseits nicht allzusehr im Gestrüpp liegt, andererseits nicht zu nahe an die
Ameisenautobahn heranreicht. Danach schmausen wir Brote mit Salami und
genießen einen traumhaft schönen Sonnenuntergang. Kordula rundet den Abend mit einem Bad ab. Später sehen wir
ein Hausboot über den See tuckern, wie es mir noch nicht unter die Augen gekommen ist: ein Hüttchen in schwedischer
Bauweise, das auf einem Floß steht und gemächlich über die Wasseroberfläche zieht. Während die Dämmerung über uns
hereinbricht, brumme ich alle fünf Minuten ein "So müsste es immer sein".