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Weiterfahrt nach Waren


Geländedarstellung: © 1998 Microsoft (Encarta)
[Fr, 25. Juli 2008]

Erstmals in diesem Urlaub lassen wir uns vom Wecker des Handys wecken — sicher ist sicher! Es ist kurz nach 7.00 Uhr, als wir aufstehen, aber wir haben ja einiges vor heute. Gemeinsam stiefeln wir in Richtung Toiletten und Rezeption, um gleich unsere Brötchen abholen zu können. Dabei könnten wir es auch anders haben. Als wir nämlich in Richtung über den Platz marschieren, werden wir nur knapp von zwei Brötchen verfehlt, die ein Mann — wozu auch immer — von links über den Fahrweg wirft. Als er uns sieht, lacht er uns entschuldigend zu. Die nächste Stunde vergeht wie im Flug, und als wir uns auf dem Weg in Richtung Bahnhof machen, für den wir großzügigerweise eine Viertelstunde eingeplant haben, ist es auch schon höchste Zeit.

Am Bahnhof erwarten uns gleich zwei Überraschungen. Überraschung Nummer eins: an dem Ticketautomaten lassen sich kein Tickets nach Kratzeburg lösen. Im Innern des Bahnhofsgebäudes lässt sich anhand eines Planes der Ostdeutschen Eisenbahngesellschaft ODEG entnehmen, dass diese ab Fürstenberg 6,60 Euro kosten, nur käuflich erwerben lassen sie sich hier nirgends. Zwei Frauen, die vorbeikommen, geben uns den Tipp, es beim Reisebüro in der STadt zu probieren, doch dazu ist es jetzt natürlich schon viel zu spät, denken wir, denn wir kennen ja noch nicht Überraschung Nummer zwei. Wir lösen also zwei Tickets nach Neustrelitz für jeweils 3,60 Euro und hoffen, in Neustrelitz zwei Tickets nach Kratzeburg nachlösen zu können. Falls die Linie nach Kratzeburg tatsächlich von der ODEG betrieben wird, gibt es vielleicht wieder einen Ticketautomaten im Zug wie auf der Linie zischen Groß Quassow und Neustrelitz.

Als wir dann zu unserem Bahnsteig hinübergehen, folgt Ãœberraschung Nummer zwei: der Regionalexpress, der uns nach Neustrelitz bringen soll, hat laut einer Durchsage zehn Minuten Verspätung. In Neustrelitz haben wir laut Fahrplan sieben Minuten Zeit zum Umsteigen. Um 9.02 Uhr soll es dort weitergehen. Das wird wohl nicht reichen. Der nächste Zug nach Kratzeburg fährt erst wieder um 11.02 Uhr, was zwei Stunden Zwangspaues in Neustrelitz bedeuten würde. Bahnfahren — eines der letzten Abenteuer der Menschheit!

Der Regionalexpress rollt die prognostizierten zehn Minuten später in Fürstenberg an. Ein Schaffner, den man wegen der Tickets nerven könnte, ist natürlich nirgends sichtbar, aber das ist ja längst nicht mehr die größte unserer Sorgen. Stattdessen konzentrieren wir uns auf die Hoffnung, dass der Anschlusszug in Neustrelitz wartet. Durch schwedisch anmutende Wälder hindurch erreichen wir nach nur 14 Minuten Fahrtzeit Neustrelitz — und haben Glück. Am selben Bahnsteig gegenüber warten zwei Schienenbusse der ODEG. Einer von ihnen fährt Richtung Groß Quassow und Mirow in die eine Richtung, der andere Richtung Waren ist unser wartender Zug nach Kratzeburg. Schnell springen wir hinein und sind schwer erleichtert, dass dieser Tag nun doch nicht komplett aus dem Ruder zu laufen scheint. Unser Ticket kriegen wir dann auch noch. Es kostet tatsächlich nur die 3,00 Euro Differenz, die wie in Fürstenberg für das Neustrelitz-Ticket weniger bezahlt haben. Zehn Minuten später feiern wir Wiedersehen mit Kratzeburg, dem Startpunkt unseres Paddelurlaubs.

Nach Fürstenberg gestern, ist es uns heute nun vergönnt, auch Kratzeburg zumindest nachträglich bei Sonnenschein besichtigen zu können. Als wir durch den kleinen Ort spazieren, wirkt der jedoch ähnlich unbelebt, wie vor zehn Tagen. Wir gehen daher zielstrebig dem Orstende entgegen, von wo die Straße zum Käbelicksee und dem Parkplatz abzweigt, wo wir unser Auto abgestellt haben. Ein banges Gefühl marschiert mit uns — hat sich auch wirklich niemand an dem verlassenen Wagen vergriffen? Immerhin — zwei Knöllchen wie vor zwei Jahren in Lübbenau dürften uns diesmal nicht erwarten. Wir treiben die Spannung noch ein wenig auf die Spitze, denn an dem Strandbad beim Käbelicksee gibt es ein Dixi-Klo, und das kommt mir gerade recht, denn bei dem vollen Terminplan dieses Morgens ist meine Natur noch nicht ganz zu ihrem Recht gekommen. Leider scheint die Toilette zunächst verriegelt zu sein, doch wie schon am Campingplatz von Canow, lässt sich dieses Problem von außen beheben und nach kurzem Nachfragen, ob sich denn auch niemand in der Kabine aufhält, entriegle ich die Tür. Zweitklassige Fernsehkrimis kommen mir in den Sinn, in denen mich nun eine halbverweste Leiche erwarten müsste, doch die Erfahrung bleibt mir zum Glück erspart.

Kurze Zeit später feiern wir Wiedersehen mit unserem Auto, das die Tage der Trennung von uns unversehrt überstanden hat. Wir fahren los, erreichen über die staubige Betonplattenpiste Adamsdorf und die Hauptstraße nach Neustrelitz. Endlich können wir auch das Hörbuch weiterhören, das uns die Anreise nach Mecklenburg vorige Woche verkürzt hat. Bei Neustrelitz verfahren wir uns prompt. Statt auf der Umgehungsstraße zu bleiben, geraten wir ins Stadtinnere. Noch ein Wiedersehen mit einer unserer Urlaubsstationen. Der Rest der 37 km nach Fürstenberg verläuft ohne Hindernisse. An unserem Campingplatz steht die Schranke offen, und als wir hindurchfahren steht unser Wikinger Spalier und winkt uns freundlich zu.

Wir bauen das Zelt ab und das Boot auseinander — nach zehn Tagen Paddeltour ein komisches Gefühl, doch schon heute abend wollen wir es irgendwo bei Feldberg wieder zusammenbauen. Als wir endlich fertig sind und alles im Auto verstaut haben, ist es tatsächlich schon nach 12.00 Uhr. Obwohl unterm Strich alles gut gelaufen ist, haben wir doch mehr Zeit gebraucht als gedacht. Wir verlassen den Campingplatz, um Kurs auf die Feldberger Seenlandschaft zu nehmen, wie nicht nur die Landschaft, sondern auch die dort liegende Gemeinde heißt. Noch in Fürstenberg verfahren wir uns zum zweiten Mal an diesem Tag, denn die rechts von der Hauptstraße abzweigende L15, die wir nehmen wollen, liegt gegenüber der Straße, die uns vom Campingplatz auf die Hauptstraße führt. Wir biegen nach links in die Hauptstraße ein und suchen die Straße Richtung Feldberg nördlich von Fürstenberg — vergeblich! Als wir unseren Fehler endlich bemerken, lohnt sich das Umkehren auch nicht mehr. Wir biegen bei der nächsten Gelegenheit rechts ab. Ãœber Dörfchen namens Godendorf und Dabelow, die mittels abenteuerlicher Sträßchen verbunden sind, erreichen wir irgendwann wieder die L15. Vorbei an Lychen, dessen Falbootmuseum wir dank des sommerlichen Wetters nun wohl nicht mehr zu sehen bekommen, fahren wir weiter durch sommerliches, hügeliges Land, bis wir irgendwann in Feldberg ankommen. Wir haben Zeit und wir haben Urlaub! Also stellen wir das Auto für einen Bummel auf dem Edeka-Parkplatz ab und ziehen los. Vielleicht finden wir ja eine nette Lokalität, wo man einen Eiscafé oder etwas in der Art schlürfen kann.

Lange müssen wir nicht suchen. In einer Gasse mit Kopfsteinpflaster, die an den Haussee grenzt, stoßen wir auf den Abendsegler — eine Kneipe mit Gästezimmern und zum Wasser hin gelegenen Biergarten. Selbst eine kleine Anlegestelle scheint es zu geben, an der Paddler ihr Boot für eine Pause festmachen können. Wir bestellen zwei große Cola, und weil die Speisekarte so verlockend aussieht noch einen Ruccolasalat für Kordula und einen Flamkuchen Mediterran für mich. Während wir essen, fesselt ein kleiner quengelnder Junge an einem der Nachbartische unsere Aufmerksamkeit, der nicht mit seinem Boot spielen will, sobald ihm die Eltern es jedoch aus der Hand nehmen, plärrt, dass das sein Boot sei. Als wir die Kneipe verlassen, tun wir das in der festen Absicht, an einem der nächsten Tage einen Bootsausflug hierher zu machen. Jetzt wollen wir uns aber erst nach einem festen Standort für die nächsten Tage umsehen. Nachdem wir im Edeka, bei dem wir den Wagen abgestellt haben, noch etwas zu trinken kaufen, setzen wir uns wieder in unsere rollende Sauna, werfen die Klimaanlage an und fahren weiter Richtung Conow. Der dortige Campingplatz am Carwitzer See erscheint uns die günstigste Lage zu haben. Er befindet sich recht zentral innerhalb der Feldberger Seen und bietet sich uns als idealer Ausgangspunkt für die Tagestouren an, die wir uns für die nächsten Tage auf unsere Agenda gesetzt haben.

Den Campingplatz zu erreichen, erweist sich als gar nicht so einfach. Zunächst landen wir bei einem der hier offensichtlich verbreiteten Campingvereine, eine Abwandlung der uns Ruhrpottlern vertrauteren Schrebergärten, nur dass dort eben Wohnwagen statt Hütten stehen. Wir sind jedenfalls scheinbar nicht willkommen und hoppeln über einen Feldweg weiter, bis wir schließlich beim richtigen Campingplatz landen. Einladender wirkt der allerdings auch nicht. Wie auf einem Stadionparkplatz stehen die Fahrzeuge nebeneinander aufgereiht, überwiegend in praller Sonne. Das Erschreckendste an dem Platz jedoch ist, dass er trotz seines wenig ansprechenden Flairs proppenvoll ist. Während wir ratlos durch die Reihen stapfen, taucht irgendwann eine Endfünfzigerin im Badeanzug auf, und fragt, ob wir einen Platz suchen. Sie scheint den Laden hier zu schmeißen, und bietet uns einen wenig attraktiven Flecken unweit des Sanitärgebäudes an — für eine Nacht vielleicht akzeptabel, nicht jedoch für den Rest unseres Urlaubs. Richtig enttäuscht ist sie allerdings nicht, als wir ihr sagen, dass wir es erst einmal in Feldberg probieren wollen, zumal, wie sie uns erzählt, noch ein weiteres Pärchen hier herumstreift und mit sich kämpft, ob es hierbleiben will.

Wenig später sind wir wieder unterwegs nach Feldberg. Eigentlich gar nicht so schlecht, denken wir uns, denn dort kann man abends wenigstens nett ausgehen. Auch der Campingplatz wirkt auf Anhieb deutlich einladender. Die Hänge sind terassiert und landschaftlich nett gestaltet. Sogar einen Streichelzoo gibt es. Nicht jedoch für uns, wie wir an der Rezeption erfahren. Da wir keine Vorreservierung haben, haben wir keine Chance, es sei denn wir warten bis 19.00 Uhr und hoffen darauf, dass einer der Vorangemeldeten nicht auftaucht. Auch darauf, das Auto draußen zu belassen und nur mit dem Zelt auf den Platz zu gehen, will sich der Rezeptionist nicht einlassen. Angeblich hat er Angst um seine Sterne, wenn sich an den Waschräumen zu lange Schlangen bilden. Immerhin bringt er noch für uns in Erfahrung, dass der Campingplatz in Carwitz, der als letzter noch in Frage gekommen wäre auch dicht ist. Ein Pärchen, das nach uns die Rezeption betritt, bringt dasselbe in Erfahrung wie wir, ist aber entschlossen genug, sich in Conow das letzt Verfügbare unter den Nagel zu reißen. Damit brauchen wir uns wenigstens nicht mit der Entscheidung quälen, eventuell doch noch dort einzuchecken. Tja, das Wochenende steht vor der Tür, und der Sommer ist schon da — Pech für uns! Eine ganze Weile sitzen wir ratlos im Auto herum und überlegen, was wir tun sollen. Wir könnten im Abendsegler nächtigen, doch das dürfte nicht ganz billig werden, und ausgerechnet jetzt, wo das Wetter so richtig schön geworden ist, in einem Zimmer unterzukriechen, passt für uns auch nicht so richtig zusammen. Also verabschieden wir uns innerlich von den Feldberger Seen und entscheiden uns für die Große Müritz. Und Waren, als eine der größeren Städte der Region sollte doch auch noch etwas für uns zu bieten haben.

Aus Schaden wird man klug, und so rufen wir diesmal an einem der Campingplätze an, bevor wir losfahren. Gleich bei dem ersten, dem Campingplatz Kamerun, bringt Kordula in Erfahrung, dass auf dem großen unbeschatteten Platz noch einiges frei sei. Ersteres hört sich zwar nicht so verlockend an, aber irgendwo müssen wir die Nacht ja verbringen, also fahren wir los. Aus dem Ende unserer Paddeltour in Fürstenberg ist eine regelrechte Odyssee geworden. Der Weg nach Waren umfasst stolze 70 km und Autobahnen sucht man hier vergebens. Dafür kommen wir mit unserem Hörbuch gut voran.

Als wir nach gefühlten sechs Stunden endlich die Stadtgrenze von Waren passieren, erinnere ich mich an die Sache mit dem unbeschatteten Platz auf dem Campingplatz Kamerun. Da wir am zweiten Campingplatz der Stadt mehr oder weniger vorbeifahren, überrede ich Kordula, es doch lieber erst dort zu probieren. Auf den ersten Blick eine gute Idee. Der Campingplatz Ecktannen liegt schön im Wäldchen und die Rezeption verspricht ein gewisses Niveau. Der Preis leider auch. Stolze 72 Euro muss ich für die drei Ãœbernachtungen berappen, für die wir uns zunächst entschieden haben, und das obwohl ich verheimliche, dass wir noch ein Boot dabei haben. Dafür haben wir auf den meisten Campingplätzen bisher ein bis zwei Euro extra bezahlt. 6 Euro Kurtaxe sind in der Rechnung auch enthalten, wofür wir einen Gästepass erhalten — ein kleines Heftchen, das uns über zweifelhafte Vergünstigungen in diverse Warener Geschäfte locken und zum Wahrnehmen der hiesigen Freizeitangebote verleiten soll.

Ein Lageplan, den man mir in die Hand gedrückt hat, weist uns den Weg zum Bereich 2B, wo wir unser Zelt aufschlagen sollen. In Wassernähe ist das nicht gerade. Der Bereich der Wasserwanderer ist auf dem Plan jedoch so klein, dass man sich denken kann, dass man uns mit dem Auto dort ohnehin nicht hingelassen hätte. Die Auswahl im Bereich 2B ist leider nicht berauschend. Schließlich zwängen wir uns zwischen ein paar Birken, aber so richtig glücklich sind wir mit unserer Lage nicht. Rings um uns herum Birken und andere Camper, kein Wasser in der Nähe, keine Aussicht — und dafür sind wir den weiten Weg hierher gefahren? Seufzend versuche ich mich damit zu trösten, dass wir hier nicht wegen des Campingplatzes sind, sondern wegen der nahen Stadt und ihrer Freizeitmöglichkeiten.

Nachdem das Zelt steht, packen wir unsere Badesachen ein und erkunden wir den Platz. Das kleine Wasch- und WC-Gebäude in unserer Nähe ist leider gesperrt, so dass wir zur Befriedigung unserer körperlichen Bedürfnisse einen längeren Weg auf uns nehmen müssen. In der Nähe dieses größeren Sanitärgebäudes befindet sich auch der kleine in einem Kfz-Anhänger untergebrachte Kiosk des Campingplatzes. Ganz in seiner Nähe gelangt man — vorbei am Platz der Wasserwanderer, der derart abschüssig ist, dass Kordula darauf sowieso nicht gerne geschlafen hätte — zum Strandbad, das selbst nicht mehr zum Campingplatz gehört. Dort an den Ufern der Binnenmüritz, dem nördlichen Wurmfortsatz der Großen Müritz, lassen wir uns nieder. Die Sonne scheint flach über das Wasser herüber und überflutet uns mit Licht und Wärme, als wir in das leider doch sehr kalte Wasser hineinstapfen, um ein paar Runden zu schwimmen.

Auf dem Rückweg zum Zelt machen wir einen Abstecher zum Kiosk, der einen vielversprechenden Eindruck macht. Nicht nur, dass man dort Frühstücksbrötchen bestellen kann — das Formular dafür, das ich an der Rezeption erhalten habe, haben wir zwar leider gerade nicht dabei, aber weil die Frauen dort nicht ganz so bürokratisch drauf sind, nehmen sie unsere Bestellung auch so entgegen — man kann dort auch Fahrräder ausleihen. Nichts, was man sich zu Hause in den Keller stellen würde, aber ein fahrbarer Untersatz. Kordula sichert uns die beiden einzigen verfügbaren Exemplare, die akzeptable Radgrößen aufweisen und über einen Fahrradkorb verfügen. Meines hat sogar eine Halterung für eine Kindersitz, weswegen die Kiosk-Frau erst noch eineinhalb Augen zudrücken muss, ehe sie das Gefährt herausrückt. Wenig später befinden sich zwei davon für die nächsten 24 Stunden in unserem Besitz. Kostenpunkt: 7,00 Euro pro Tag und Rad. Allein schon für den Weg vom Zelt zur Toilette sind die Dinger aus meiner Sicht von unschätzbarem Wert.

Wir machen uns ausgehfein — endlich können wir, da wir unsere Reserven aus dem Kofferaum unseres Autos wieder zur Verfügung haben — wieder aus dem Vollen schöpfen. Dann schwingen wir uns auf die Sättel unserer Neuerwerbungen und radeln, abwechselnd unsere Klingeln bedienend, Richtung Stadt. Der sonnige Weg entlang der Binnenmüritz macht Lust auf mehr Radfahren, doch damit warten wir lieber bis morgen. Vier Kilometer sind es in etwa bis ins Zentrum — nichts, was man nachts gerne zurückspaziert.

Unweit des Hafens ketten wir unsere Räder fest. Die Schlösser haben eine vierstellige Zahlenkombination, deren erste drei Ziffern in umgekehrter Reihenfolge auf die Schutzbleche der Vorderräder geschrieben sind — eine nette kleine Hilfestellung für Fahrraddiebe, die so nur noch maximal zehn Möglichkeiten ausprobieren müssen, um an ihr Ziel zu gelangen. Was die Versicherung wohl davon hält?

Durch Waren zu bummeln, ist für mich ein seltsames Gefühl. Fast fünfzehn Jahre ist es her, dass ich hier schon einmal einen kleinen Teil eines Urlaubs verbracht habe, aber bis auf die beiden großen Kirchtürme gibt es nichts, was mir bekannt vorkommt. Nicht einmal die Jugendherberge, an der wir auf unserem Weg hierher vorbeigeradelt sind und in der ich damals übernachtet habe, lässt irgendwelche Erinnerungen aufkommen. Die Stadt ist mir fremd. Allerdings scheint sie sich auch gehörig weiterentwickelt zu haben. Am Hafen liegt ein Lokal neben dem anderen. Die großzügigen Außenbereiche sind vollbesetzt. Urlauber flanieren entlang der Uferpromenaden. Ein Schiff, auf dessen Deck eine Junggesellinnen-Abschiedsparty stattfindet, hält auf den Hafen zu. Die tiefstehende Sonne und die laue Abendluft sorgen für mediterranes Flair. An einer Ecke mit Live-Musikangebot fühle ich mich fast schon ein bisschen an Malle erinnert. Besonders fasziniert bin ich von der festungsartigen und dennoch verspielt wirkenden Aneinanderreihung der Häuser zum Wasser hin. Wie eine Ansammlung bunt zusammengewürfelter Schachteln und Kartons türmen sie sich auf. Am liebsten würde man einmal in jedes der Fenster dort oben hineinsehen.

Wir lassen die großartige Stimmung auf uns wirken, dann tauchen wir in die verwinkelten Gässchen der Altstadt ein. Endlich wissen wir, dass sich die Odyssee dieses Tages am Ende doch gelohnt hat. Nachdem ich bei meiner Ma zu Hause angerufen habe, um mich über den Fortgang ihrer Genesung zu erkundigen, und auch Kordula kurz mein Handy für einen Anruf in die Heimat in Anspruch nimmt, suchen wir uns ein Restaurant aus. Salat und Flamkuchen vom Mittag sind längst verdaut. Ein einladendes Restaurant in der Fußgängerzone sagt uns besonders zu. Leider sind alle Plätze besetzt, so dass wir letztendlich zum Hafen zurückbummeln und uns für das zumindest im Außenbereich etwas verlassen wirkende Tapas-Restaurant "New Yorxx" entscheiden. Auch wir steigen lieber zum Balkon hinauf. Der erste Tisch, den wir uns aussuchen, erweist sich als etwas zu sehr dem Wind ausgesetzt, und so ziehen wir, unterstützt von der freundlichen Kellnerin, in eine etwas besser vor dem Wind geschützte Ecke um. Kurze Zeit später haben wir einen Rioja für Kordula, ein Glas meines neuen Lieblingsbiers und einen großzügig ausgestatteten Tapas-Teller für zwei Personen vor uns stehen. Überraschend fleischlastig, aber sehr lecker. Dazu der Blick über die Binnenmüritz, über die ganz allmählich die Abenddämmerung hereinbricht. Es ist einfach herrlich. Die Kellnerin ist sehr gesprächsfreudig. Am Nachbartisch erzählt sie, dass das Restaurant wohl bald seine Pforten schließen wird, um ein paar Straßen weiter unter anderem Namen neu zu eröffnen, weil die Tische in der Regel nicht ausgelastet sind. Als ich nach dem Essen bezahle, ist sie fast überrascht, dass wir Tapas schon früher kennengelernt haben. Aus Kiel, wo sie lange gewohnt habe, kenne sie das nicht.

Als wir uns mit den Fahrrädern auf den Rückweg machen, ist es längst dunkel. Leider stellt sich heraus, dass mein Licht nicht funktioniert. Außer einem kurzen Aufflackern, als ich über eine Bodenschwelle fahre, gibt es kein Lebenszeichen von sich. Spätestens als wir die Stadt verlassen und auf den Fahrradweg entlang des Wassers in Richtung Ecktannen einbiegen, wird die Fahrt zum Blindflug. Sowohl bei Kordula als auch bei mir macht sich der Alkohol bemerkbar. Im Gegensatz zu Kordula kann ich jedoch das Ganze genießen. Der nur schemenhaft erkennbare Weg gleitet unter mir hinweg, als ob ich schweben würde. Einfach herrlich!

Unterhalb des Campingplatzes empfangen uns Taschenlampen. Der Sicherheitsdienst, der am Platz über Ruhe und Ordung herrscht, hat sich ein paar am Lagerfeuer krakelenden Jugendlichen gewidmet. Jetzt werde ich angehalten, bitte das Licht einzuschalten oder doch zumindest Kordula, deren Licht funktioniert, voraus fahren zu lassen. Dieselben Herren belehren Kordula kurze Zeit später im Waschraum, dass man dort doch bitte Badelatschen verwenden möchte — als ob wir hier, wenn wir welche mit uns hätten, freiwillig barfuß herumlatschen würden und obendrein nicht lesen könnten, schließlich steht das ganze in fetten Buchstaben bereits an der Außentür. Was müssen die Langeweile haben! Während ich vor dem Waschraum auf Kordula warte, gesellt sich einer von ihnen zu mir, und wir studieren den Aushang eines Gastes, dessen Sohn man ein Ericsson-Handy geklaut hat, das wohl zum Aufladen im Waschraum gelegen hat. Der Sicherheitsmensch belehrt mich, dass man Handys auch an der Rezeption aufladen könne. Wenn man dort freundlich frage, wäre das bestimmt keine große Sache. Schmunzelnd versuche ich mir vorzustellen, wie die Damen dort eine dreistellige Zahl von Gäste-Handys auseinanderzuhalten und ebensoviele Steckdosen dafür aufzutreiben versuchen. Dann philosophiert er darüber, ob man überhaupt ein Handy klauen sollte, das von der Marke Ericsson ist. Zum Glück kommt Kordula und erlöst mich. Gemeinsam radeln wir zum Zelt zurück.

An diesem Abend brauchen wir weder eine Kniffelrunde noch ein Kapitel Mrs. Murphy, bevor wir ins Reich der Träume hinübergleiten.

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